Prof. Mausfeld – Der Neoliberalismus und das Ende der Demokratie. (1:46:52)

Lesezeit ca. 7 Min.

Inhalt

Neoliberalismus vs. Demokratie

Abstract

Zweiter veröffentlichter Vortrag von Prof. Dr. Rainer Mausfeld, in dem es um die Unvereinbarkeit von Neoliberalismus und Demokratie geht. Wieder lässt Prof. Mausfeld verschiedene berühmte Persönlichkeiten zu Wort kommen, die untermauern, dass die repräsentative Demokratie eine Scheindemokratie ist.

Er beschreibt verschiedene Herrschaftstechniken und wie es gelingt, Duldung und Lethargie zu erzeugen.

Der Neoliberalismus ist kein Wirtschaftsmodell, sondern geht weit darüber hinaus. Es geht um die Ökonomisierung aller wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Bereiche. Um das zu gewährleisten werden verschiedene Schwächen des Menschen ausgenutzt, die seit über 100 Jahren in der Psychologie erforscht wurden.

 

Die Vorträge und Interviews von Prof. Dr. Mausfeld sind so beeindruckend, dass man sich nach Möglichkeit alle (derzeit 3) ansehen sollte:

 

Beschreibung

Hinweis: Es gibt auch von diesem Video eine recht vollständiges Transkript im Internet.

 

Das Volk als Herde

Das Volk wird von den Eliten in der Geschichte häufig als Herde bezeichnet, womit sie ausdrücken wollen, dass sie selbst eben keine Herde sind. Diese Unterscheidung zwischen Eliten und Volk begründet den Herrschaftsanspruch. Davit Hume (1711-1776, einer der bedeutendsten schottischen Aufklärer) hat sich bereits im 18. Jahrhundert gefragt, wie es möglich ist, dass sich die Masse der Bevölkerung mit so einer Leichtigkeit von einer Minderheit regieren lässt. Und er stellt fest, dass dies nur über eine Kontrolle der Meinungen möglich ist.

 

Demokratie ist gefährlich

Das erkannte schon Aristoteles. Seine Vorstellung von Demokratie war die Herrschaft der Reichen und Edlen, wobei die Edlen allerdings Idealisten sein müssten, die keine Eigeninteressen verfolgen. Er sah die Gefahr, dass bei einer echten Demokratie das Volk den Reichtum der Vermögenden unter sich aufteilen.

Jakob Augstein sagt ganz klar, dass eine repräsentative Demokratie nicht den Willen des Volkes darstellt („Aus gutem Grund gibt es Parlamente. Sie schützen die Demokratie vor dem Volk und das Volk vor sich selbst. Denn beim Volk, das ist eine paradoxe Wahrheit, ist die Demokratie nicht gut aufgehoben.“ [1]).

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Demokratie zwar nicht beim Volk gut aufgehoben ist, aber bei den Eliten. Und das wiederum heißt, dass Wahlen die verfolgte Politik der Eliten kaum beeinflussen können.

Es besteht eine Tendenz dazu, wirtschaftlich totalitäre Strukturen immer weiter zu verrechtlichen, also das, was früher illegal war, zu legalisieren.

Am Fall Griechenland kann man darüber hinaus beobachten, dass Regierungen, die das Volk befragen, zur „Bedrohung Europas“ werden.

Dieter Grimm, ein renommierter Verfassungsrechtler und Richter am Bundesverfassungsgericht sagt: Die Geschichte der EU sei die Geschichte einer schleichenden illegitimen Machtübernahme. Es sei ein verdeckter Putsch.

 

Das Volk ruhig halten

Wie gelingt es, einen Abbau von Rechts- und Sozialstaatlichkeit vorzunehmen, ohne dass das Volk dagegen rebelliert?

Eine Methode ist Hard Power, bei der militärische, polizeiliche oder ökonomische Gewalt angewendet wird. Problematisch hierbei ist, dass dadurch Gegengewalt entsteht.

Die elegantere Methode ist daher Soft Power. Der Trick hierbei ist es, Dinge moralisch unsichtbar zu machen, sodass sie unsere natürlichen Sensitivitäten (wie z. B. unsere Vorstellung von Freiheit) unterlaufen. Ein Beispiel hierfür ist „weiße Folter“, bei der den Opfern im Gegensatz zur Zeit des Mittelalters nicht mehr anzusehen ist, dass sie gefoltert wurden. Die Entwicklung weißer Folter ist eng verknüpft mit der Entwicklung der Demokratie [Anm.: das ist ein Spezialgebiet von Prof. Mausfeld].

In den 1920er Jahren begann man, stärker auf die sanften Techniken der Meinungskontrolle zu setzen, und zwar in Form von Propaganda.

Aussage von Edward Bernays: „Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft.“ Demokratie nach Vorstellung der Eliten funktioniert also nur mit Propaganda.

 

Demokratie und Kapitalismus sind unvereinbar

Die Aufklärung wurde und wird häufig missverstanden, weil die Eliten den Begriff inzwischen funktionalisiert haben und ihn gegen die Ideen der Aufklärung verwenden.
Ein wichtiges Element der Aufklärung ist die prinzipielle Gleichwertigkeit aller Menschen. Der Mensch darf nicht durch andere verzweckt werden. „Zentrale Bereiche einer Gesellschaft, insbesondere die Wirtschaft, dürfen nicht von einer demokratischen Legitimation und Kontrolle ausgeklammert werden. Eine Demokratie, die in zentralen Bereichen undemokratisch ist, ist keine Demokratie.“
Werden moralische Regeln aufgestellt, um das Handeln anderer zu beurteilen, so müssen diese auch für uns selbst gelten.
Die politischen Positionen Links und Rechts stammen aus der Aufklärungszeit. Links war den Zielen der Aufklärung verpflichtet, Rechts genau dagegen. Daher haben diese beiden Positionen keine gemeinsame Schnittmenge.
Ein Merkmal des immer vorhandenen Projekts der Gegenaufklärung ist die Vorrangstellung der eigenen Gruppe, welches z. B. im Rassismus, Chauvinismus, Nationalismus und Exzeptionalismus vorhanden ist.

 

Antiamerikanismus ist ein Propagandakonzept des Imperiums

In der Geschichtswissenschaft liegt immer ein Hauptfokus auf den Imperien oder Großmächten der jeweiligen Zeit. Das jeweils herrschende Imperium, also heutzutage die USA, verwendet solche Begriffe als Propagandakonzept, um Kritiker loszuwerden. Es wäre lächerlich bei Kritikern der deutschen Regierung von Anti-Germanisten zu sprechen [Anm.: leicht durch Autor abgewandelt].

Mausfeld: „Aber es gibt einen Antiamerikanismus. Das ist der Antiamerikanismus der US-amerikanischen Eliten. Denn sie führen den Kampf gegen das eigene Volk.

 

Exzeptionalismus

Die Amerikaner sagen von sich selbst, dass zu deren Ideologie der Exzeptionalismus gehört. Das bedeutet, dass sie sich nur in internationale Normen einspannen lassen, wenn es Ihnen einen Vorteil bringt. Wenn nicht, dann halten sie sich nicht an die Normen.
Allen anderen Ländern außer den USA bleibt nichts anderes übrig, als das Handeln der USA zu studieren (US-Politik-Berater Karl Rove). Und während die anderen Länder die USA studieren, handeln jene und verändern damit die bestehende Realität, die es wiederum zu studieren gilt, kurz: Die USA sind allen anderen immer ein bis zwei Schritte voraus.
Der Exceptionalismus macht aus Doppelmoral eine ganze Philosophie:
Mausfeld: „Wenn wir arabische Länder zerbomben, ist das kein Terrorismus sondern ein Kampf für Freiheit und Menschenrechte. Wenn wir Drohnenmorde begehen und dabei z. B. zum Zeitpunkt der Attentate von Paris im Jemen 180 Menschen der Zivilbevölkerung töten, dann sind das für uns nicht betrauerbare Tote.“

 

Ein Kampf zwischen Arm und Reich

Während es zu Zeiten des New Deals oder der sozialen Marktwirtschaft eine Art Waffenstillstand zwischen Demokratie und Kapitalismus gab, brach dieser in der Zeit von 1950 bis 1970 immer mehr auf.

In der Presse und in den Aussagen berühmter Persönlichkeiten findet sich immer mehr Kriegsrhethorik: „Griechenland ist das jüngste Schlachtfeld im Krieg der Finanzelite gegen die Demokratie.“ (Der Guardian 7.7.2015)

Die berühmten Sätze von Multimilliardär Warren Buffet: „Es herrscht Klassenkrieg. Richtig! Aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt. Und wir gewinnen.“

Mausfeld: „Es ist ein Krieg, gegen den wir kaum revoltieren, weil wir ihn kaum mitkriegen, wenn wir nicht gerade die ganz Armen sind.“

 

Nichts wird so unterschätzt wie das Projekt des Neoliberalismus

Mausfeld: „Wenn wir einen Krieg der Reichen gegen die Armen haben, dann bedeutet das: die Soft Power muss immer subtiler, ausgefeilter und raffinierter gemacht werden. Wir müssen die Indoktrinationsmechanismen immer weiter verfeinern, um einen Anschein von Demokratie aufrecht zu erhalten. Es gibt jetzt enorme Anstrengungen, um dafür zu sorgen, dass es keiner merkt. “

Dies geschieht zum einen durch Unsichtbarmachen von Fakten und durch Eliminieren von Alternativen.

Das Unsichtbarmachen von Fakten gehört zum Tagesgeschäft von Politik und Medien. Schwieriger ist es, ganze Denkrichtungen zu eliminieren.

Wie können Alternativen zum Neoliberalismus und Kapitalismus unsichtbar gemacht werden?

Das geschieht häufig durch Regime Changes, wie z. B. Iran 1953, Guatemala 1954, Brasilien 1964, Bolivien 1971, Chile 1973, Operation Condor 1970ff, El Salvador 1980ff, Contra-Krieg in Nicaragua 1981ff, Invasion in Grenada 1983, Militärputsch in Honduras 2009, usw.

Auch kognitiv können Alternativen unsichtbar gemacht werden. So bleiben sogar die Linken innerhalb des gesteckten Rahmens, indem sie den Mindestlohn noch um 50 ct erhöhen oder die Rente mit 80 verhindern wollen.

Mausfeld „Die neoliberalen Indoktrinationssysteme dienen einer „industrial-scale manufacture of ignorance“.“

 

Full spectrum dominance – die Kontrolle der Weltmeinung

Lt. eines Strategiepapiers (Joint Vision 2020) des Pentagon streben die USA eine absolute Dominanz im gesamten Spektrum an, eine „full spectrum dominance“ zu Wasser, in der Luft, im Weltraum – und im Meinungsmarkt.

Darin wird ganz offen von „perception management“ gesprochen, um die Wahrnehmung der Bevölkerung vollständig im Griff zu haben.

Obama spricht in einer Rede von der „Befähigung der USA, die Weltmeinung zu formen …“.

Tim Curley, der Vorstandschef der Nachrichtenagentur Associated Press beschwerte sich in einem Vortrag, dass das Pentagon 27.000 Berater mit einem Etat von 4,7 Mrd. Dollar beschäftigt, welche massiven Einfluss auf die tägliche Berichterstattung nehmen, vor allem im Bereich Außenpolitik und Kriegseinsätze [2][3].

 

Meta-Propaganda

Dies ist Propaganda über Propaganda. Beispiele: „Russlands geheimer Feldzug gegen den Westen“ (FAZ), „Machtlos gegen Russlands Propaganda“ (Süddeutsche Zeitung), „Kampf gegen russische Propaganda – Das Ende der Wehrlosigkeit“ (Spiegel-Online).

In der Tat macht auch Russland, wie alle anderen großen Staaten Propaganda.

Mausfeld: „Aber sie ist kaum vergleichbar mit der Propaganda der USA mit ihren 100 Jahren Propaganda-Erfahrung, die mit einer Tiefe und Subtilität operiert, von der wir kaum eine Ahnung haben.“

 

Neoliberalismus ist nicht (nur) Ökonomie

Es geht um viel mehr als Ökonomie.

Mausfeld: „Es geht darum, das neoliberale Subjekt zu schaffen, das Selbst zu erobern, den gesamten Bereich von Seele, Emotion – von allem.“

Mausfeld: „Das bedeutet zum einen die Ökonomisierung von Identitäten. Die Bausteine von Identität werden durch den Markt bereitgestellt. Was Sie sind, ergibt sich durch einen Identitätswarenkorb“, was auch auf Edward Bernays zurückgeht.

Dazu werden bewusst Fehlidentitäten geschaffen (Fußballvereine, Produkte (Handies, Apps …), die eigene Firma).

Dadurch wird das Klassenbewusstsein zerstört und Gewerkschaften geschwächt, während die Elite ein sehr starkes Klassenbewusstsein und dadurch auch eine enorme Kampfkraft hat.

 

Menschliche Schwächen

Der Mensch hat verschiedene „Schwächen“, die dabei helfen, ihn zu unterdrücken.

Menschen sind Status-Quo-Bewahrer: Sie treffen nicht gern Entscheidungen und schätzen tendenziell diejenigen negativ ein, die den Status-Quo ändern wollen. Dieser Effekt lässt sich durch Angst und Ablenkung noch verstärken.

„Stockholm-Syndrom“: Genau wie Entführungsopfer ein positives Verhältnis zum Entführer aufbauen, empfinden die Menschen die Machtstrukturen, denen sie unterworfen sind, eher als fair und legitim.

 

Ungleicher Kampf

Die Eliten haben ein enormes Wissen über uns und kennen uns dadurch besser als wir uns selbst. Diese Ungleichheit zu überwinden, ist praktisch nicht möglich. Ein Anfang ist es, das Wissen über Manipulationsmechanismen zu verbreiten. Wir haben den Pessimismus des Intellekts und den Optimismus des Willens (nach Gramsci).

Mausfeld: „Der Optimismus des Willens heißt: wir müssen bereit sein, unseren Willen, unsere Entschlossenheit zu artikulieren, inhumane Zustände zu ändern – als Teil eines Gegenprojekts gegen die neoliberale Indoktrination und die Verformung des Selbst. Kognitiv heißt das: das explizite Ziel des Neoliberalismus, die induzierte Ignoranz überwinden. Sozial heißt das: die tiefgehende Fragmentierung sozialer Beziehungen überwinden. Und affektiv heißt das: induzierte Fragmentierung des Selbst und Falsch-Identitäten überwinden. Das ist eine ganz schwierige Sache. Das steckt uns so tief in den Knochen, dass wir gar nicht wissen, wie tief das geht. Und wir müssen Wesen und Funktionsweise neoliberaler Indoktrination erkennen und die Asymmetrie des Wissens, das die Eliten über uns haben und das wir über uns haben, versuchen zu reduzieren.“

 

Bewertung

Ein weiterer wertvoller Beitrag von Prof. Dr. Mausfeld, der noch nicht ganz so weit verbreitet ist, aber nicht minder interessant. Leider sind in der Diskussion bestimmte Passagen weggeschnitten und die gezeigten Folien sind nicht sichtbar.

Prof. Mausfeld spricht auch hier große Dinge gelassen aus. Er gibt mit dem Vortrag wichtige Anstöße zum Nachdenken und verweist auf viele verschiedene z. T.  essenzielle Quellen, die es lohnt, sich einmal anzusehen.

Der Artikel ist leider sehr lang geworden, da ich nicht wusste, was ich weglassen soll.

Für das breite Wissen, die vielen erhellenden Aussagen und die verständliche Darstellung vergebe ich 5 Sterne.

 

Erkenntnisse

Durch die Beiträge von Prof. Mausfeld ist mir noch viel klarer geworden, wie sehr wir von Propaganda (ein Begriff, den die Menschen fest mit der russischen Berichterstattung oder der Nazizeit verknüpft haben, aber nicht mit unserer) umgeben sind.

Bei der klaren, aus der Aufklärung abgeleiteten Definition von „Links“ und „Rechts“ wundert es mich immer mehr, warum die Menschen aktuell AFD wählen und nicht auf linke Parteien umschwenken.

 


[1] s. Jakob Augstein, „Volk und Wahrheit“, unter: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/keine-gerechtigkeit-durch-demokratie-volk-und-wahrheit-a-1086533.html, abgerufen am (21.09.2016)
[2] s. Marc Brupbacher, „27’000 PR-Berater polieren Image der USA“, unter: http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/amerika/27000-PRBerater-polieren-Image-der-USA/story/20404513, abgerufen am (22.09.2016)
[3] s. Wilhelm von Pax, „Journalisten-Geständnis: USA nehmen mit 27.000 PR-Beratern Einfluss auf die Medien“, unter: http://www.neopresse.com/medien/usa-nehmen-mit-27-000-pr-beratern-einfluss-auf-die-mainstreammedien/, abgerufen am (22.09.2016)

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